Die Familie Sibylle und Henry Simms haben aus politischen Gründen 1937 im letzten Moment Deutschland verlassen und sind nach Australien gegangen. Nach Ausbruch des Krieges wurden sie im Kriegsgefangenlager Tatura interniert.
Tatura, Australia. 4 December 1943. Family groups among German internees from overseas and now interned at No. 1A Camp, Tatura. Back row, left to right: Henry Simms; Sibylle Simms; Georg Kollat. Front row: Henriette Simms; Nina Simms; Elisabeth Kollat; Charlotte Schonzeler.
Unser Nachbar in der Badestraße hieß Herr Wolff, der Zigarrenwolff, mein ganz besonderer Freund. Er war ein älterer Herr mit gelblichem Gesicht und der am Stock ging. Einmal hielt er mein Rad fest, als ich aufsteigen wollte und meinte schmunzelnd, er habe mir damit mein Leben gerettet! Ich protestierte und er mimte großes Bedauern. Er hätte es mir so gerne mal gerettet. Das können Sie immer noch haben, erwiderte ich - er: Ja wie denn? Ich: Ich würde um mein Leben gerne einmal fliegen! Es hieß nämlich, Herr Wolff sei im Kriege ein berühmter Kampfflieger gewesen, sei abgestürzt und litte immer noch an den Folgen seiner Verletzungen. Seine ganze Leidenschaft sei aber das Fliegen, und mit seinem Geld sei die Lufthansa gegründet worden und der erste Hangar in Fuhlsbüttel erbaut. Er fuhr auch regelmäßig in seinem Auto hinaus zum Flugplatz und beobachtete die Entwicklung. Dies nur zur Erklärung. Er war etwas überrascht und fragte, was denn meine Eltern dazu sagen würden?
Und ich meinte, die dürften besser nichts davon wissen, jedenfalls nicht vorher! So kamen wir überein, dass er mich am nächsten Tag, nachmittags, mit nach Fuhlsbüttel nehmen sollte, weiter nichts - dagegen sei sicher nichts
einzuwenden!
Am Flugplatz angekommen, stellte er mich dem berühmten Kunstflieger
Bäumer vor, der damals so viel von sich Reden machte, wie später Udet. Der
wollte sich totlachen, ob Herr Wolff ihn allen Ernstes fragte, ob er die Kleine
mal mitnehmen würde? Sie schaute zu gerne seinen Kunststücken zu und
träumte davon, auch mal Loopings zu machen!
Mir wurde etwas bange ums Herz und ich hatte das vage Gefühl, dass Herr
Wolff mir eine Lektion erteilen wollte. Ich tat aber mutig und ließ mir nichts
anmerken. Bäumer verpackte mich in dicke Pelze, Kappe, Brille u.s.w. und hob
mich dann in das berühmte kleine offene Sportflugzeug, das war so schnell,
dass die zwei einzigen Sitze hintereinanderlagen und die ganze Breite
einnahmen. Vor mir und zu meinen Füßen die ganzen Hebel und Schalter, die er
hinter mir sitzend, bediente, sodass ich alle seine Manöver verfolgen konnte,
oder jedenfalls hätte verfolgen können, wäre ich überhaupt noch zur Besinnung
gekommen. Rechts und links offen vor mir nur eine kleine spitzwinklige
Schutzscheiben. Und erwartete ich, dass er sich auch so einmummen würde, wie mich, aber nichts dergleichen, er band sich nur, Herrn Wolff zuzwinkernd,
große himmelblaue Seidenschleife um den Hals und schwang sich hinein, und
losging's! Die Tragflächen waren riesig lang, der Motor in meiner Erinnerung
nicht laut und das Gefühl des Schwebens überwältigend schön. Wir flogen nicht
hoch, ich konnte die Knicke zwischen den Wiesen und Feldern deutlich sehen
und wir kreisten in großen Bögen über den Dörfern. Aber dann kam es: plötzlich
schaltete er den Motor aus und wir schossen steil hinunter, dass ich das Gefühl
hatte, die Erde stieg uns entgegen. Ein weißer Pferdewagen der Wäscherei
Kieser flog geradewegs auf uns zu, dabei drehten sich die Hecken und Felder im
Kreise um uns herum und im Nu waren wir wieder in der Höhe, aber kaum hatte
ich Atem geschöpft, da fielen wir hintenüber und die Erde war plötzlich über
uns und alles drehte sich kopfüber, dann drehten wir uns wie ein Kreisel um
einen unserer Flügel und rasten dann wieder mit singendem Motor senkrecht in
die Höhe. Ich krallte mich an beiden Seiten fest und kniff die Augen zu!
Dann landeten wir wieder auf der kleinen Rollbahn, wo Herr Wolff uns erwartete
und man mich halb ohnmächtig wieder auswickelte. Herr Bäumer fragte, ob ich
mal wieder kommen wollte, aber ich sagte; Nein danke. Er ist kurz darauf bei
einem Testflug tödlich abgestürzt.