Ein armer Hund war er nicht gerade, der junge Kaufmann Henry B. Simms
(1861 - 1922), dessen Vorfahren aus Birmingham stammten und der erst in dritter Generation in Hamburg ansässig war. Doch mit den hanseatischen Pfeffersäcken konnte er sich nicht messen. Seine Lage wurde sogar richtig misslich, als die väterliche Handelsdépendance in Sydney um 1880 zusammenbrach. Den Untergang des Hauses erlebte er in Australien hautnah mit.
Die Zukunft düster vor Augen machte er sich auf die Heimreise nach Hamburg. Aber auf dieser Reise ereilte ihn ein Schicksal, das es beinahe unverschämt gut mit ihm meinte. In der Eisenbahn lernte er den Direktor der Münchner Hofbräu kennen. Die Männer unterhielten sich prächtig, und als Simms aus dem Zug stieg, hatte er einen Vertrag als Generalvertreter für den weltweiten Export des Hofbräu-Biers in der Tasche.
Brauhäuser wie Pilsener Urquell und Löwenbräu kamen rasch hinzu. Ein hübsches Kontorhaus am Ballindamm wurde zum Stammsitz seines Bier-Imperiums. Als er im April 1895 auch noch die Reederstochter Gertrud Sauber heiratete und in den Genuss einer stolzen Mitgift kam, war er ein steinreicher Mann.
Aber Henry B. Simms war nicht sehr gebildet, und das Stigma des neureichen Emporkömmlings haftete an ihm. Die vornehmen Hanseaten rümpften die Nasen. Simms ließ sich den Schneid nicht abkaufen, umso weniger, als er ein tiefes und echtes Bedürfnis nach Bildung in sich spürte und sich keineswegs für einen Underdog hielt. Ihm kam der Gedanke, Kunst in großem Stil zu sammeln - aus Neigung und fürs Prestige.
Und noch einmal hatte Simms Glück. Auf der Uhlenhorst wohnte er mit Alfred Lichtwark, dem ersten Direktor der Hamburger Kunsthalle, im selben Haus. Lichtwark nahm den kunsthungrigen Nachbarn unter die Fittiche, wohl wissend, dass auch Bilder kaufen gelernt sein will. Simms war ein gelehriger Schüler und schon bald überzeugt, "dass allein das Künstlertum dem Leben die schönsten Blüten zu schenken vermag".
Immer wieder unternahm er Bildungsreisen nach München, Florenz, Venedig oder Rom. Und gern sonnte er sich in der Nähe des Genius. Mit Vorliebe kaufte er vom Künstler selbst. "Es ist dies weitaus der sympathischste Weg. Das Kaufen vom Kunsthändler ist immer nur ein Notbehelf. Ich habe festgestellt, dass die meisten Künstler - und selbst die ganz großen - es nicht als unangenehm empfinden, wenn sich der ehrliche Liebhaber direkt an sie wendet", befand er.
Spitzenstücke seiner Sammlung waren Bilder wie „Die Geigenspielerin“, „Modellpause“ und „Terrasse in Klobenstein“ von Lovis Corinth. Von Max Beckmann kaufte Simms unter anderem das Porträt Minna Beckmann-Tube, das Bildnis von Max Reger und ein Stillleben mit roten Rosen. Niemand in Deutschland besaß so viele „Beckmanns“ der Vorkriegszeit wie er. Mit französischen Impressionisten wie Monet, Renoir und Sisley war er ebenfalls gut bestückt, aber nur mit deren „zahmen“ Bildern, wo die Farbe sich noch nicht kühn verselbstständigt und vom Gegenstand losgelöst hatte. Früh wurde er auf Picasso aufmerksam, aber auch der musste – wie Simms betonte – „zahm“ sein und nicht kubistisch zersplittert. Ganz besonders liebte er Picassos „Jungen mit Spitzenkragen“ von 1905, den er dem Sammler Wilhelm Uhde in Paris abgeknöpft hatte – zusammen mit 26 Gemälden von Auguste Herbin.
Der Maler Arthur Illies gab der Ehefrau Gertrud Simms Radierunterricht. Das Ergebnis überzeugt.
Das Buch "Meine Bilder" ihres Mannes schmückte sie mit zahlreichen Blumenvignetten.
Illies schuf 1907 in Anlehnung an den Jugendstil mehrere großformatige Wandgemälde, die das Treppenhaus schmückten. Der gelernte Dekorationsmaler schaffte diese Aufgabe innerhalb eines Jahres und zu aller Zufriedenheit. Dennoch ließ Simms später die monumentale Jugendstilmalerei mit unifarbenem Rupfen überspannen.
Das Haus ging nach dem Tod von Gertrud Simms 1936
in den Besitz der Oberpostdirektion Hamburg über. Ob verkauft oder enteignet,
bleibt unklar. Die Angaben sind widersprüchlich. 1970 wurde es abgerissen.
Die Wandbilder von Illies befinden
sich heute im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe.
Die Familie Simms im Kreise ihrer Kunstwerke in der Heilwigstraße 29.
Datum unbekannt.
Lovis Corinth:
Terrasse in Klobenstein 1910
Hamburger Kunsthalle
Familienporträt im alljährlich gemietetem Sommerrefugium "Haus Wundereck", Tirol
Die Familie ist allerdings nicht komplett. Mutter Gertrud und der älteste Sohn Bubi fehlen.
Max Beckmann war ein guter Freund der Familie Simms und erhielt 1913 den Auftrag, Henry Simms im Kreise seiner Familie zu porträtieren. Simms hatte Beckmann erst im Jahr zuvor auf Helgoland kennengelernt.
Das Gemälde erscheint zunächst unkonventionell. Die Kinder sind eben erst hereingekommen, ein Sohn knöpft sich noch die Jacke zu. Durch die unterschiedlichen Blickrichtungen und verschiedenen Handbewegungen wirkt das Gemälde sehr unruhig und hektisch. Lediglich die Eltern sind ernsthaft daran interessiert, sich in klassischem Sinn malen zu lassen, und sitzen ruhig, mit strengem Blick zum Maler. Doch es tritt eine neue Lässigkeit ein, Frau Simms liegt mehr im Stuhl als dass sie sitzt. Herr Simms stützt sich locker auf einem Tisch ab, die Hand leger in der Hosentasche. Lediglich der Matrosenanzug des Jüngsten und das blütenweiße Kleid der Tochter erinnern an das klassische Familienporträt des Bürgertums. Es scheint, als wollte Beckmann auf das repräsentative Bildnis zurückgreifen und gleichzeitig Elemente der modernen Familie, wie die neu entdeckte Geschwindigkeit und den gleichgestellten Umgang miteinander, integrieren. Das Gemälde ist exemplarisch für den Übergang vom repräsentativen Bürgerporträt zu einer neuen Form der Familiendarstellung.
Für Beckmann war der Auftrag dieses Familienbildnisses etwas Neues, das ihn sehr forderte. Als die Arbeit beendet war, notierte er in seinem Tagebuch: "Schluss der Vorstellung. 91 Tage auf das Gruppenbild verwendet. Das war 'ne menge Arbeit. Ziemlich müde und abgespannt. Jetzt wird vier Wochen nicht gemalt. Ferien!"
Max Beckmann war im November 1912 nach Davos gereist um den ältesten Sohn Karl Frederic Simms dort im Sanatorium zu porträtieren. Der litt an Tuberkulose und Beckmann wollte seine Porträtstudie in das spätere Familienporträt integrieren. Karl Frederic starb drei Jahre später im Alter von nur 19 Jahren in Davos an Tuberkulose.
1912 waren auch Katia und Thomas Mann in Davos. Tuberkulose war weltweit sehr verbreitet und wohlhabende Patienten hofften dort in exklusiver Lage auf Heilung. Der Aufenthalt inspirierte Thomas Mann zu seinem Roman "Der Zauberberg".
Unerlässlich waren strenge Liegekuren und das Accessoire, der Blaue Heinrich.
Auch Karl Frederic Simms wird dieses Taschenfläschchen für Hustende bei sich geführt haben.
Lovis Corinth malt
Henry B. Simms
1910
Corinth berichtet seiner Frau Charlotte: "Bei Simms war dieselbe Geschichte wie überall; sie hatten immer etwas auszusetzen, jetzt ist nach meiner Meinung alles gelungen ... sie sind sehr liebenswürdig, aber es geht gar nicht sehr luxuriös zu ... aber gute Weine ... und schlechte Bilder das ganze Haus voll. Habermann ist ihr lieber Gott."
Von 1896 bis 1902 hatte Henry B. Simms mit seiner Familie in der Bassinstraße 1 am heutigen Feenteich zur Miete gewohnt. Sein Nachbar war Alfred Lichtwark, der Direktor der Hamburger Kunsthalle.
Der Maler Arthur Illies berichtet über seinen ersten Besuch: "Er hat den ersten Stock, Lichtwark wohnt im Erdgeschoss. Die Wohnung ist sehr kostbar eingerichtet; zwischen all seinen Kostbarkeiten aber fehlen Bilder, und Bilder will er jetzt sammeln."
1903 zog die Familie Simms zunächst in die Heilwigstraße 12, um dann 1906 in die große neue Villa in der Heilwigstraße 29 zu ziehen.
Simms schreibt 1910: "Schaper malte sie (die Kinder) auf meinen Wunsch im Garten unserer alten Wohnung Heilwigstraße 12, wie sie zu ihrer täglichen Freude die Schwäne füttern"
Henry Simms verschickte gerne Postkarten mit dem Motiv seines neuen Hauses.
Text: ... auf diesem Wege entgegen und seien Sie und Ihre Frau Mutter aufs herzlichste gegrüßt von Ihrem stets ergebenen Henry Simms
1914 schickte Henry B. Simms zwei Feldpostkarten an Robert Simm (?) Beide mit dem Motiv des neuen Domizils in der Heilwigstraße.
Feldpostkarte 12. November 1914
Herrn Unteroffizier Robert Simm 2 Feld Art. Regim 3 Ers. Bat.
Würzburg im Feld Nr. 14.
Lieber Herr Simm
Von meiner Frau und mir unsere herzlichsten Glückwünsche zu Ihrer Verlobung. Kommen Sie mit Ihrer Braut gesund wieder.
Wir freuen uns sehr, sie kennenzulernen.
Herzlichst die ganze Familie Simms
Feldpostkarte vom 30.12.1914
Herrn Unteroffizier R. Simm I. Bayr. Armeekorps 5
Res. Divis. Res. Art. Gegi No. 5 2 Abt
Alles Gute für 1915 wünschen Ihnen von ganzem Herzen Ihr Henry Simms, Frau und Familie
Im Gebirgsdorf Klobenstein in Tirol verbrachte die Familie Simms alljährlich die Sommermonate im angemieteten "Haus Wundereck".
Hier verfasste Henry B. Simms seit 1905 die meisten Artikel seines Buches "Meine Bilder".